Unsere Kindheit prägt uns. Gerade, wenn wir immer wieder oder besonders starke negative Erfahrungen machen mussten, speichern wir bestimmte Muster in unserem Gehirn ab. Diese sind geprägt durch Emotionen, Glaubenssätze und Verhaltensstrukturen, die häufig auch im Erwachsenenalter immer wieder aktiviert werden. In diesem Artikel gehen wir anhand eines Beispiels durch, wie genau die Kindheit unsere Beziehung beeinflussen kann.
Fallbeispiel: Sabine
Sabine ist 27 Jahre alt und schon länger in einer unglücklichen Beziehung. Sabine ist ein Gutmensch. Sie versucht es immer allen recht zu machen und verliert dabei sich selbst aus den Augen. Irgendwann ist der Druck für sie so groß geworden, dass sie eines Dienstagsmorgens bei mir auf der Couch landet.
Ich frage Sabine, was sie in der Beziehung hält und sie antwortet:
“Meine Freundinnen sagen mir, ich soll gehen. Aber ich kann nicht. Er braucht mich doch! Und ich habe so schreckliche Angst vor dem Gespräch. Er wäre so sauer.”
Sabine möchte zwar eine liebevolle, gesunde Beziehung. Doch wie kommt es, dass sie in dieser Beziehung bleibt, obwohl sie das nicht will?
Prägung in der Kindheit
Als Kinder prägen sich unsere Vorstellungen und Ideen von der Welt:
was ist gut und was ist böse?
wie sieht Liebe aus?
was muss ich machen, um geliebt zu werden?
Die Antworten auf diese Fragen erleben wir entweder am eigenen Leib oder sehen wir bei anderen Menschen.
Sabine hat in ihrer Kindheit ihre Mutter beobachtet, die sich dem Vater untergeordnet hat. Sabine konnte sich nie sicher sein, wann ihr Vater mal wieder wütend oder ihre Mutter in Tränen ausbrechen würde. Sie musste früh lernen, viel zu geben. Als Älteste musste sie auf die Geschwister aufpassen. Sie erinnert sich an Angst, wenn sie die erhobene Stimme ihres Vaters hörte . Diese Emotionen der Angst und Unsicherheit kommen auch heute noch auf.
Emotionen und Trigger
Viele von uns haben schon früh Erfahrungen gemacht, die starke Gefühle in uns ausgelöst haben. Dabei müssen das nicht immer traumatische Ereignisse gewesen sein, um einen Einfluss auf uns auch Jahre später noch zu haben.
Vielleicht hast du immer wieder erlebt, wie:
sich deine Eltern von dir abgewendet haben
Geldsorgen zu Streit und Problemen geführt haben
alles andere Priorität hatte, außer deinen Bedürfnissen
Solche (wiederholten) Erfahrungen lösen starke Emotionen wie Angst, Trauer oder Wut in uns aus. Als Erwachsene erleben wir sie dann meist in Form von “Triggern”.
Trigger: starke Emotionen aus der Vergangenheit, die im Hier und Jetzt aktiviert werden. Wir reagieren meist “zu stark” in einer Situation, sei es indem wir sehr kalt, gemein, laut oder abweisend werden.
Sabines Trigger
Wenn ihr Freund wütend wird, spürt Sabine ihren Körper kaum noch. Es fühlt sich an wie eine Starre. Gefühle der Angst und Abwehr mischen in ihr und sie weiß nicht, was sie tun soll.
Als ich sie frage, woher sie dieses Phänomen kennt, sagt sie:
“Wenn mein Vater von der Arbeit nach Hause gekommen ist, wussten wir nie in welcher Verfassung er sein würde. Wenn er wütend war, hatte ich einfach nur Angst und wollte verschwinden. So fühlt es sich an.”
Emotionen und Trigger gehen häufig auch mit bestimmten Glaubenssätzen einher, die unser Verhalten ausrichten.
Glaubenssätze
Glaubenssätze sind Überzeugungen und Ideen, die wir im Laufe unseres Lebens verinnerlicht haben. Sie können uns explizit beigebracht werden wie z. B.
“Große Jungs weinen nicht", was nach und nach zu der Überzeugung führt, dass negative Gefühle schlecht sind und keinen Raum haben sollten.
Oder wir leiten als Kinder vom Verhalten anderer oder von non-verbaler Kommunikation (wie zB einem strengen Blick) etwas über die Welt und uns darin ab.
Das kann so etwas sein wie:
ich bekomme nur Liebe, wenn ich Leistung zeige
am Ende des Tages bin ich mit meinen Problemen allein
ich kann mich nicht wirklich auf andere verlassen
Sabines Glaubenssatz
Ich frage Sabine in einer der folgenden Sitzungen, welche Gedanken oder Überzeugungen im Zusammenhang mit den Situationen auftauchen, in denen sie sich wie erstarrt fühlt und über ihre Grenzen hinausgeht.
“Naja, ich kann dann nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen. Ich muss dafür sorgen, dass sich alles wieder beruhigt. Es fühlt sich fast so an, als trüge ich dafür Verantwortung, dass mein Freund wieder zur Ruhe kommt. Aber irgendwas in mir sträubt sich auch dagegen.”
Sabine musste früh als Kind lernen, Verantwortung für ihre Familie zu übernehmen. In den zahlreichen Situationen, in denen ihre Mutter überfordert und ihr Vater wütend war, blieb die Verantwortung tatsächlich an ihr hängen. Das hat über die Zeit starke Überzeugungen geprägt, die in ihrer heutigen Beziehung immer noch präsent sind. Doch als Erwachsene merkt sie auch, dass damit etwas nicht stimmt. Dies ist der Widerstand, den sie mehr und mehr spürt.
Verhalten
Emotionen und Glaubenssätze richten unser Verhalten aus und münden meist in einer Strategie, die wir an den Tag legen, um uns zu schützen.
Vielleicht kennst du das, dass du in Streitsituationen handelst, ohne nachzudenken und dich hinterher fragst, was zum Teufel dich da geritten hat.
Als Kinder lernen wir schwierige Situationen, die mit negativen Gefühlen einhergehen, irgendwie zu bewältigen.
Manche Menschen ziehen sich zurück. Andere werden sehr wütend und gehen in den Angriff über oder versuchen Kontrolle auszuüben. Wieder andere (wie Sabine) ertragen die Situation und machen alles, damit wieder Harmonie herrscht.
Dieses Verhalten sehen wir auch in unseren Beziehungen als Erwachsene. Es zeigt sich entweder, wenn wir getriggert sind oder so unter Druck stehen, dass wir nicht mehr wissen, was wir tun sollen. Das Problem daran ist, dass hierbei häufig der Kontakt zu unserem Partner / unserer Partnerin abbricht. Wir sind so im Tunnel, dass wir blind nach unseren alten Mustern handeln. Das führt dann meist dazu, dass wir uns mehr und mehr voneinander distanzieren oder die Streits sehr schnell eskalieren.
Sabines Verhalten
Wenn Sabine getriggert wird, würde sie alles dafür tun, dass die Harmonie wiederhergestellt wird. Für sie fühlt sich die Konfliktsituation sehr gefährlich an. Hier kommen die alten Muster ins Spiel, die sie schon früh geprägt haben.
Sabine blieb als Kind nur die Möglichkeit, sich unterzuordnen und einfach das zu machen, was von ihr erwartet wurde. Sie bildet ein Muster aus Gefühlen, Überzeugungen und Verhaltensweisen aus, die ihr früher geholfen haben, mit schwierigen Situationen umzugehen. Auch heute noch können diese Muster durch eine Reaktion ihres Freundes aktiviert werden. Dann fühlt sie sich genauso hilflos und überlastet wie früher und stellt ihre eigenen Bedürfnisse zurück.
Fazit
Unsere Kindheit hat einen wichtigen Einfluss auf unsere Beziehungen. Hier entstehen für die meisten von uns wichtige Überzeugungen die Welt und uns selbst betreffend. Hier werden für uns die Bausteine unserer inneren Welt gelegt, die bestimmen, wie wir auf ganz bestimmte Dinge reagieren.
Disclaimer: Das bedeutet natürlich nicht, dass das für alle Menschen gleich ist oder, dass wir nichts daran ändern können. Die Kindheit ist ein wichtiger Einfluss in unserer Prägung, aber natürlich nicht der einzige.
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