top of page
  • AutorenbildAnouk Algermissen

Narzissmus: Was dir keiner über Narzissten in Beziehungen sagt

Der Begriff “Narzissmus” ist in aller Munde. Wir wollen wissen, wie sich ein Narzisst verhält, ob wir eine narzisstische Mutter hatten und wie wir uns vor narzisstischem Verhalten schützen können. Was viele nicht wissen ist, wie undifferenziert und aus psychologischer Sicht falsch viele dieser Einordnungen sind. In diesem Artikel werden wir uns das Phänomen Narzissmus genauer anschauen und herausarbeiten, was eigentlich dahintersteckt und was man im Umgang damit beachten muss.



Das Problem mit dem Narzissmus


Es gibt viele unterschiedliche Arten, über Narzissmus zu sprechen. Letzte Woche erst war ein Paar in meiner Praxis, das einen großen Streit über diesen Begriff führte. Er wollte ausdrücken, dass sie sich in der letzten Zeit wenig um seine Interessen gekümmert hat und er sich von ihr nicht gesehen fühlte. Sie empfand es als eine Beleidigung, ihr Empathiefähigkeit abzusprechen und sie auch noch als "klinisch krank” darzustellen.


Das Problem ist, dass Narzissmus als Begriff so häufig und undifferenziert genutzt wird, dass keiner mehr so wirklich weiß, was damit gemeint ist.

Sprechen wir über jemanden, der in sich selbst verliebt ist im Sinne der griechischen Mythologie?


Sprechen wir über eine Persönlichkeitsstörung im Sinne der klinischen Diagnose?


Oder sprechen wir einfach über jemanden, der arrogant wirkt und wenig auf andere eingeht im Sinne der umgangssprachlichen Verwendung des Wortes?


Hinzu kommen noch jede Menge Vorurteile und schwammige Ideen, die mit der Zeit aus der Psychologie in unser allgemeines Verständnis übergegangen sind. Wenn das alles zusammen nicht für Chaos sorgt, dann weiß ich es auch nicht.


Ich denke, es ist enorm wichtig, dass wir problematisches Verhalten bei anderen erkennen und uns davor schützen. Das würde ich sofort unterschreiben.


Doch Menschen zu stigmatisieren und in eine Schublade zu packen, hilft keinem von uns weiter.

Dennoch ist es natürlich wichtig, problematisches Verhalten zu erkennen, egal ob dies mit einer Diagnose zusammenhängt oder nicht.


Um also zu wissen, wovor wir uns eigentlich schützen sollten, müssen wir das Ganze etwas genauer angehen. Schauen wir uns dazu jetzt die unterschiedlichen Merkmale eines narzisstischen Menschen an.


Was ist narzisstisches Verhalten?


Ich ziehe für diese Einordnung die Diagnosekriterien für eine narzisstische Persönlichkeitsstörung heran. Keine Sorge, ich werde dich nicht mit der Auflistung langweilen. Wir schauen uns hierfür lediglich die wichtigsten Merkmale an.


Wenn wir von einer Persönlichkeitsstörung ausgehen, muss man zunächst darüber reden, dass dies ein Muster aus Denk- und Verhaltensweisen ist, das oft schon seit der Kindheit oder Jugend besteht und stabil und lang andauernd ist. Menschen mit einer solchen Persönlichkeit sind also nicht den einen Tag narzisstisch und den anderen nicht. Das ist ein großer Unterschied zu dem, wie wir allgemein über Narzissmus sprechen.


Wir betrachten dort meist nur ein Verhalten isoliert und nicht im Kontext des gesamten Lebens einer Person.

Klassische Marker von narzisstischen Mustern sind arrogantes oder überhebliches Verhalten. Das hängt damit zusammen, dass diese Personen sich als besonders wichtig oder einzigartig erleben und ein maßlos übersteigertes Bedürfnis nach Bewunderung haben.


Das kann man im Alltag leicht damit verwechseln, dass jemand ein lediglich erhöhtes Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung hat. Sich gut fühlen oder positives Feedback von anderen bekommen zu wollen, ist erst einmal vollkommen normal. In das narzisstische Spektrum würde es erst dann fallen, wenn die Person unbedingt erwartet, auf eine bestimmte Art und Weise behandelt zu werden, und z.B. der Drang nach Bewunderung auf Kosten von anderen geht. Wenn dies mit ausbeuterischen Verhaltensweisen und einem Mangel an Empathie einhergeht, wird aus einem Wunsch nach Anerkennung ein zwischenmenschliches Problem.


Fallbeispiel Lukas und Feli


Schauen wir uns das Fallbeispiel von Lukas und Feli an, um besser zu verstehen, wie eine Beziehung mit einem narzisstischen Menschen aussehen kann:


Am Anfang ihrer Beziehung hat Lukas seine Freundin Feli mit Aufmerksamkeit und kleinen Geschenken überhäuft. Feli war von seiner Zuneigung und seinem Interesse total überwältigt. Schon nach einigen Wochen sprachen sie über das Zusammenziehen und eine gemeinsame Wohnung. Doch dann kam der erste Streit. Lukas wurde plötzlich sehr kalt und hart. Er zog sich zurück und wurde distanzierter. Feli wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte und wurde immer anhänglicher. Plötzlich fiel ihr auf, wie unempathisch ihr Freund sein konnte. Wenn sie versuchte, ihm etwas aus ihrem Leben zu erzählen, machte er sich über sie lustig.


Stritten sie sich in der Bahn, stieg er aus und ließ sie dort sitzen. Auf Partys waren sie weiterhin das tolle Paar. Lukas war es wichtig, dass sie nach außen hin den Schein wahrten. Bloß keine schlechte Stimmung vor anderen zeigen, auch wenn sie den ganzen Tag nicht miteinander gesprochen hatten. Auf diesen Partys wurde Feli auch klar, wie ausgiebig Lukas über sich und seine Leistungen sprach. Bei anderen war er wieder der charismatische Mann, den sie kennengelernt hatte. Als Feli ihn darauf ansprach und sagte, sie finde das Verhalten merkwürdig, explodierte Lukas. Er wurde gemein, zog ihr Verhalten ins Lächerliche und meldete sich einige Tage nicht mehr bei ihr. Je mehr Feli unter der Beziehung litt, desto härter wurde er. Das ging so weit, dass sie nicht mehr wusste, ob es ihr wirklich schlecht ging oder ob sie sich einfach nur “anstellte”, wie ihr Freund sagte.


Wir sehen in diesem Fallbeispiel einige ganz typische Anzeichen für narzisstisches Verhalten, wie:


  • Am Anfang der Beziehung wird ein hohes Maß an Interesse bekundet, was sich fast “zu viel” anfühlt.

  • Die Beziehung ändert sich, sobald diese perfekte Blase platzt.

  • Zwischenmenschliche Kälte und Liebesentzug nehmen zu.

  • Die Außendarstellung muss gewahrt werden.

  • Die Person wird als charismatisch erlebt.

  • Bewunderung von anderen ist sehr wichtig.

  • Kritik wird sehr schlecht aufgenommen.

  • Es gibt nur wenig emotionale Empathie für die andere Person.

  • Gaslighting belastet die Beziehung.


Leider gibt es auch Muster in Beziehungen, die sich ganz ähnlich darstellen können. Doch wenn wir diese zu schnell als “narzisstisch” abstempeln, verpassen wir die Chance, unsere Beziehung positiv zu verändern.


Was KEIN Narzissmus ist, aber in Beziehungen sehr oft vorkommt


Das Problem ist folgendes: wir sehen nur die Spitze des Eisbergs, nämlich das Verhalten der anderen Person. Was dahinter liegt bzw. was der Ursprung dieses Verhaltens ist, bleibt uns meist verborgen.


Wenn Lukas kalt und empathisch zu seiner Freundin ist, kann das Teil seiner narzisstischen Ausprägung sein. Doch Stefans Freund würde z.B. auch sagen, dass sein Partner kalt ist und hier könnte etwas ganz anderes dahinter stecken. Wie kann das sein?

Ein Mangel an Empathie wird häufig als das klassische Erkennungsmerkmal schlechthin von narzisstischen Menschen gesehen. Und das gehört - wie wir gesehen haben - ja auch definitiv dazu. Doch viele Menschen, die keine narzisstische Ausprägung haben, reagieren auch recht unempathisch in bestimmten Situationen, z.B. wenn sie sich mit jemandem streiten oder einen sehr hohen inneren Druck empfinden. Wenn Stefan sich angegriffen fühlt, zieht er sich zurück und baut eine Mauer um sich auf. Stefans Freund erlebt ihn dann als kalt. Doch das heißt nicht, dass Stefan prinzipiell ein unempathischer Mensch ist. Es gibt Situationen - wenn er getriggert ist - in denen dieser Schutzmodus des Rückzugs dazu führt, dass andere keinen Kontakt mehr zu ihm haben. Sobald Stefan sich wieder beruhigt hat, wird er auch wieder weicher und nachsichtiger.


Wir erinnern uns daran, dass die narzisstische Persönlichkeitsstörung etwas ist, das man nicht nach Belieben an- und abstellen kann.

Dieses Muster ist langanhaltend und unflexibel. Die meisten Menschen sind empathisch, nur manchmal derart unter Druck, dass sie nicht mehr aus ihrer Haut können. Das ist ein extrem wichtiger Unterschied.


Wenn wir uns nicht fragen, was hinter ihrem Verhalten steckt, dann können wir es auch nicht ändern. Würde Stefan seinen Freund als Narzisst abstempeln, hätten sie nie die Chance, gemeinsam an diesen Verhaltensweisen zu arbeiten. Und genau deshalb ist es wichtig, etwas differenzierter auf das Thema Narzissmus zu schauen und sich die Zeit zu nehmen, sich darüber zu informieren.



  • Spotify
  • Instagram
  • TikTok
bottom of page