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  • AutorenbildAnouk Algermissen

Welche Beziehungsform passt zu mir: Monogamie, offene Beziehung oder Polyamorie?

Immer mehr Menschen interessieren sich für alternative Beziehungsmodelle. Möchten wir monogam, offen oder doch lieber polyamor leben? In einer Zeit, in der es viel mehr Freiheiten gibt, können die Möglichkeiten auch gerne mal verunsichernd sein. In diesem Artikel werden wir uns drei verschiedene Beziehungsarten anschauen und herausarbeiten, welche Vor- und Nachteile jede mit sich bringt. 




Inhaltsverzeichnis


Eine Sache vorab


Zunächst eine Sache vorab: es gibt nicht die eine “richtige” Beziehungsform. Wenn wir über Monogamie im Vergleich zu anderen Beziehungsformen sprechen, gelangen wir schnell zu einer Diskussion darüber, was “natürlich” ist und versuchen oft, anhand von Vergleichen mit der Tierwelt oder des Wissens über das Verhalten unserer prähistorischen Vorfahren herauszufinden, wie Menschen miteinander leben sollten. Dies ist sicherlich eine interessante Diskussion, bringt uns aber meist nicht weiter. Selbst wenn man sich darauf einigen könnte, was “natürlich” ist - welche Aussagekraft besäße das?


Am Ende des Tages ist wichtig, dass jedes Individuum sich wohlfühlt und ein selbstbestimmtes Leben führen kann.

Deshalb wird es in diesem Artikel auch nicht darum gehen, eine Beziehungsform über die andere zu stellen. Wir sind nun mal keine Fruchtfliegen oder Steinzeitmenschen, sondern hochentwickelte Individuen, die dazu in der Lage sind, ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und sich weiterzuentwickeln. 


Eine Studie aus dem Jahre 2022 kam zu dem Ergebnis, dass es keinen relevanten Unterschied im Hinblick auf Liebe, Commitment, Eifersucht, Beziehungszufriedenheit oder Beziehungsqualität zwischen monogamen und nicht-monogamen (also offenen oder polyamoren) Beziehungen gibt (Scoats & Campbell, 2022). Es stellt sich also vielmehr die Frage, wie wir herausfinden können, was für uns persönlich am Geeignetsten ist. Schauen wir uns dazu drei wichtige Beziehungsformen etwas genauer an.


Monogamie


Monogamie bedeutet wörtlich übersetzt Einehe. Sie bezeichnet ein dauerhaftes, sexuell und emotional exklusives Zusammenleben zweier Menschen. Die serielle Monogamie ist in unserer Kultur das vorherrschende Beziehungsmodell. Hierbei leben zwei Personen exklusiv zusammen, bis sie sich trennen und eine neue monogame Beziehung eingehen (Schmidt et al., 2006).


Da monogame Beziehungen so verbreitet sind, werden sie häufig als das “Standardmodell” gesehen. Wenn man an Beziehung denkt, dann häufig auch an Monogamie. Das hängt damit zusammen, dass wir dieses Beziehungsmodell in Filmen, Büchern und Serien am häufigsten sehen und es kulturell tief in unserer Gesellschaft verankert ist. Wir wissen, wie monogame Beziehungen aussehen sollten und haben eine klare Idee davon, was hier erlaubt ist und was nicht. Dies ist ein großer Vorteil monogamer Beziehungen. Sie geben uns eine klare Struktur vor und damit auch einiges an Sicherheit.


Wir haben häufig ähnliche Vorstellungen davon, welche “Regeln” in monogamen Beziehungen herrschen, was in Ordnung ist und was nicht. 

Für viele Menschen ist Monogamie zudem die beste Wahl, da sie die Sicherheit eines festen Partners / einer festen Partnerin schätzen. Andere erleben Verlustängste oder Unsicherheiten und brauchen daher eine gewisse Stabilität und Kontinuität in der Beziehung.

Monogame Beziehungen bieten auf der anderen Seite jedoch häufig weniger Freiheiten und erlauben weniger individuelle Auslegungen der “Regeln” innerhalb der Beziehung, als es bei anderen Beziehungsmodellen der Fall ist.


Offene Beziehung


Ca. 5% der erwachsenen Menschen in westlichen Gesellschaften leben in einer Form von “einvernehmlich nicht monogamer Beziehung” (Rubin et al., 2014). Mit einer offenen Beziehung können unterschiedliche Beziehungsformen gemeint sein. Häufig sind damit Verbindungen zwischen zwei Menschen gemeint, die nicht sexuell-exklusiv, aber emotional-exklusiv zusammenleben. Dies bedeutet, dass der Partner / die Partnerin nicht die einzige Person ist, zu der ein sexueller Kontakt besteht. Wie genau das aussieht, ist von Beziehung zu Beziehung sehr unterschiedlich. Auf der anderen Seite bleibt die wichtigste emotionale Bezugsperson - wie in der monogamen Beziehung auch - der Partner oder die Partnerin. 


Sobald man den Raum der monogamen Beziehung verlässt, ist man mit unterschiedlichen Möglichkeiten der Gestaltung ihrer Partnerschaft konfrontiert. Das kann sich befreiend, aber auch überfordernd anfühlen.


Möchte man von den Kontakten außerhalb der Beziehung wissen? Wie definiert man als Paar seine eigenen Grenzen? Womit fühlt man sich wohl und womit nicht? Möchten beide oder nur eine Person die Freiheiten ausleben? Wie geht man damit um, wenn es jemandem mit einer bestimmten Situation oder einer Person nicht gut geht?


Man ist in einer offenen Beziehung darauf angewiesen, seine eigene Struktur und ggf. Regeln zu erschaffen. Dafür muss also wissen, wo die eigenen Grenzen liegen und auch kommunizieren können, wann es einem mit etwas nicht gut geht. Schafft man dies nicht, kann es schnell zu größeren emotionalen Verletzungen in der Beziehung kommen. Eine weitere Herausforderung kann der Vorgang des Öffnens der Beziehung selbst sein. Bei vielen kann dies Unsicherheiten oder Verletzungen hervorrufen. Es braucht einiges an Fingerspitzengefühl und Geduld, um durch diesen Prozess zu navigieren.


Genauso gut kann das Öffnen einer Beziehung auch ein Gefühl der Freiheit und Selbstbestimmung mit sich bringen. Man kann ggf. unterschiedliche Bedürfnisse ausleben oder sich selbst neu entdecken. 


Manche Paare versuchen, mit dem Öffnen eine Beziehung zu retten. Wenn es hierbei jedoch kein Fundament an Sicherheit und Vertrauen gibt, besteht ein großes Risiko für die Beziehung.

Polyamorie


Polyamorie bedeutet wörtlich übersetzt Vielliebe. In dieser Beziehungsform können Liebesbeziehungen zu mehreren Menschen bei Wissen und Einverständnis der anderen existieren. Die Beziehungen sind demnach nicht mehr sexuell-, emotional- oder romantisch-exklusiv. Allerdings gibt es auch hier unterschiedliche Konstellationen, wie diese Aspekte innerhalb der Beziehungen verteilt sind. 


Der Unterschied zur offenen Beziehung kann hierbei fließend sein. Meistens werden diese beiden Beziehungsformen anhand der emotionalen und romantischen Exklusivität unterschieden. Im Englischen wird diese Distinktion jedoch häufig nicht gemacht. Hier spricht man gebündelt von einvernehmlichen nicht-monogamen Beziehungen (“consensual non-monogamy” oder kurz “CNM”).


Menschen in polyamoren Beziehungen haben häufig mit Vorurteilen zu kämpfen. Für manche Menschen sind nicht-monogame Beziehungen z.B. gleichbedeutend mit einer Flucht aus Beziehungen oder damit, die eigenen Bedürfnisse über die von anderen Menschen zu stellen. Das war jetzt natürlich sehr diplomatisch ausgedrückt, ihr könnt euch denken, dass das so in den meisten Fällen nicht bei den Menschen ankommt.


Tatsächlich kann es eine Herausforderung sein, in einer Beziehungsform zu leben, die gesellschaftlich wenig verstanden oder akzeptiert wird. Dieser Belastung muss man standhalten können. 

Eine weitere Herausforderung besteht natürlich in der Gestaltung der Beziehungen selbst. Ähnlich wie bei der offenen Beziehung müssen hier eigene Strukturen und Regeln aufgestellt und verhandelt werden. Da in diesem Modell nicht nur zwei, sondern mehrere Menschen mit ihren Bedürfnissen bedacht werden müssen, steigert sich die Komplexität der Interaktion. Hierfür braucht man Zeit und natürlich eine Menge mentaler Ressourcen. 


Auf der anderen Seite kann eine polyamore Beziehung natürlich auch sehr bereichernd sein. Bedürfnisse können von unterschiedlichen Menschen erfüllt werden, man hat ein größeres Netzwerk an engen Verbundenen und im besten Fall mehr Entlastung durch zusätzliche Unterstützung. Menschen in polyamoren Beziehungen widerstrebt ein monogames Beziehungsmodell z.B. auch deshalb, weil es wenig mit ihrem Weltbild zusammenpasst, das den Fokus auf Freiheit und Unabhängigkeit legt (Meritt et al. 2005). 


Wie finde ich heraus, was das richtige Modell für mich ist?


Nachdem wir uns die Herausforderungen und Vorteile der verschiedenen Beziehungsformen angeschaut haben, fragst du dich vielleicht, wie du herausfinden kannst, welche Form für dich geeignet ist.


Dazu ist zunächst wichtig zu sagen, dass man sich nicht ein für allemal für eine Beziehungsform entscheiden muss und das war’s dann.


Beziehungen können sich anpassen, z.B. von einer monogamen Beziehung zu einer offenen Beziehung und auch wieder zurück sich bewegen.

Man kann selbst entscheiden, was man gut findet und was nicht. Doch da sind wir auch schon bei dem entscheidenden Punkt, der für die Wahl unerlässlich ist: sich selbst, die eigenen Bedürfnisse und Werte sehr gut zu kennen.


Eigene Bedürfnisse kennen


Deine Beziehungsform soll dir gut tun. Es geht nicht darum, einem Trend nachzueifern oder einem vermeintlichen Zwang zu unterliegen. Darum musst du wissen, womit du dich wohlfühlst und womit nicht. Nutze folgende Fragen, um dies zu klären:


  • Wie wichtig ist mir Freiheit?

  • Wie wichtig ist mir Sicherheit?

  • Wenn ich mir vorstelle, dass ich und mein Partner / meine Partnerin sexuellen oder romantischen Kontakt zu anderen haben, was löst das in mir aus?

  • Wenn ich darüber nachdenke, mehrere PartnerInnen um mich herum zu haben, fühle ich mich unwohl / unter Druck oder habe ich das Gefühl, in so einer Situation aufblühen zu können?

  • Womit fühle ich mich wohler: Stabilität oder Flexibilität?


Wenn du für dich merkst, dass du ein eher geringeres Bedürfnis nach Freiheit (in Bezug auf romantischen und/oder sexuellen Kontakt mit anderen) hast und dir Sicherheit und Stabilität sehr wichtig sind, dann kann z.B. die monogame Beziehungsform für dich sehr gut passen.


Wenn dein Bedürfnis nach Freiheit und Flexibilität groß ist und du in der Lage bist, mit Unsicherheiten und den Herausforderungen der einvernehmlichen nicht-monogamen Beziehungsform umzugehen, dann könnte dies eine Möglichkeit sein. 


Jedes Modell hat seine Vor- und Nachteile und auch seine Herausforderungen. Es gilt also herauszufinden, welche Beziehungsform am ehesten deinen Bedürfnissen entspricht und mit welchen Herausforderungen du dich am wohlsten fühlst.

Fazit 


Es gibt viele verschiedene Formen von Beziehungen und Möglichkeiten, das Bedürfnis nach Liebe, Zuneigung und Sexualität auszuleben. Wichtig ist, dass es nicht die richtige, “normale” oder beste Beziehungsform gibt. Entscheidend ist, dass wir und unser(e) PartnerInnen sich in der Beziehung wohlfühlen und wir sie nach unseren Vorstellungen, Wünschen und Bedürfnissen selbst gestalten können. Wir stellen die Regeln unserer Beziehungen selbst auf und können sie eigenständig verändern oder jederzeit unseren aktuellen Bedürfnissen und Vorstellungen anpassen.



Quellen


  • Conley TD. et al. Investigation of consensually nonmonogamous relationships: Theories, Methods and new directions. Perspectives on Psychological Science 2017; 12 (02) 205-232. DOI: 10.1177/1745691616667925 

  • Csef, H. (2012). Polyamory – ein Weg aus den Zwängen der Monogamie und destruktiver Eifersucht?. Journal für Psychologie, 22(1). Abgerufen von https://journal-fuer-psychologie.de/article/view/326

  • Dietzmann, S. (2022). Polyamorie–mehr als nur Sex mit Vielen. PiD-Psychotherapie im Dialog, 23(02), 41-45. Doi: 10.1055/a-1487-9187

  • Herbert, M., Radeva, A., & Zika, E. (2013). Polyamorie: Warum (nicht) einfach lieben?. systeme, 27, 29-53.

  • Méritt, L. (Ed.). (2005). Mehr als eine Liebe: polyamouröse Beziehungen. Orlanda.

  • Mogilski, J.K., Reeve, S.D., Nicolas, S.C.A. et al. Jealousy, Consent, and Compersion Within Monogamous and Consensually Non-Monogamous Romantic Relationships. Arch Sex Behav 48, 1811–1828 (2019). https://doi.org/10.1007/s10508-018-1286-4

  • Rubin, J. D., Moors, A. C., Matsick, J. L., Ziegler, A., & Conley, T. D. (2014). On the margins: Considering diversity among consensually non-monogamous relationships. [Special Issue on Polyamory]. Journal für Psychologie, 22(1), 19-37.

  • Schmidt, G. (2006). Matthiesen, Silja ua: Spätmoderne Beziehungswelten. Report über Partnerschaft und Sexualität in drei Generationen, Wiesbaden.

  • Scoats, R., & Campbell, C. (2022). What do we know about Consensual Non-monogamy?. Current Opinion in Psychology, 101468. https://doi.org/10.1016/j.copsyc.2022.101468




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