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AutorenbildAnouk Algermissen

Die Psychologie der Verlustangst - das steckt dahinter



Kennst du das Gefühl, jemanden nicht verlieren zu dürfen?

Häufig sprechen wir dann von Verlustangst, wenn starke negative Gefühle bei dem Gedanken an den Verlust oder die Abwesenheit einer wichtigen Person aufkommen. Verlustängste können einen hohen Leidensdruck auslösen und haben leider oft negative Konsequenzen für unsere Beziehungen. Um Verlustängste überwinden zu können, ist es wichtig, erstmal die Psychologie dahinter zu verstehen. Dafür ist dieser Artikel gedacht.



Inhaltsverzeichnis



Fallbeispiel Paula


Paula ist 35 Jahre alt und leidet unter starker Verlustangst. Das bedeutet für sie konkret, dass sie in bestimmten Situationen ganz starke Gefühle der Angst und Unsicherheit hat. Dann bleibt ihr der Atem weg, sie spürt einen Stich in der Brust und ihre Gedanken fangen an, wie wild zu rasen.


Die erste Situation, die sie mir erzählt hat, war folgende:


“Gestern war es wieder so weit. Es ist mir fast ein bisschen peinlich das zu erzählen, weil es eigentlich nichts Großes war. Mein Partner war mit seinen Arbeitskollegen unterwegs. Zuerst war auch alles okay, doch dann hat er sich immer weniger gemeldet. Er hat mir dann hinterher erzählt, dass er halt auch was getrunken und die Zeit vergessen hat, aber bei mir war direkt Alarm. Ich bin auf und ab gelaufen und habe mir die absurdesten Szenarien vorgestellt. Dass er da jetzt jemanden kennenlernen wird. Dass er mich vergisst und ihm dann auffällt, dass ich ihm gar nicht so wichtig bin. Es war schlimm. Ich habe mich erst beruhigen können, als er spät abends nach Hause gekommen ist. Und dann war ihm das natürlich viel zu viel, sodass wir dann einfach beide sauer ins Bett gegangen sind. Ich weiß einfach nicht, wie ich diese blöde Angst loslassen kann.”


Auslöser von Verlustangst


Typischerweise wird Verlustangst ausgelöst durch:

1. Räumliche oder emotionale Distanz des Partners / der Partnerin

Wenn der Partner / die Partnerin nicht verfügbar ist, z. B. durch Geschäftsreisen, kann dies Unsicherheiten auslösen. Menschen mit Verlustängsten haben dann vermerhrt das Gefühl, dass die andere Person mehr Spaß ohne sie haben könnte oder sie vergessen wird.


2. Verzögerte oder fehlende Reaktionen

Wenn die Bezugsperson nicht auf Nachrichten antwortet oder weniger aufmerksame Antworten gibt, führt das bei Menschen mit Verlustangst oft zu Grübeln und Worst-Case-Szenarien. Sie interpretieren das Schweigen als Zeichen für Desinteresse oder Ablehnung.


3. Verändertes Verhalten des Partners / der Partnerin

Veränderungen im Verhalten des Partners / der Partnerin, wie weniger Zuneigung, weniger Berührungen oder weniger Gespräche, können das Gefühl verstärken, dass etwas in der Beziehung nicht stimmt. Menschen mit Verlustangst neigen dazu, solche Veränderungen schnell zu bemerken und negativ zu interpretieren.


4. Kontakt mit anderen Menschen

Wenn der Partner / die Partnerin Zeit mit anderen Personen verbringt, insbesondere mit attraktiven Freunden, Kollegen oder Ex-Partnern, kann das intensive Eifersucht und Verlustangst auslösen. Der Gedanke, dass die andere Person jemand anderen bevorzugen könnte, verstärkt die Angst vor dem Verlassenwerden.


5. Fehlende Bestätigung oder Kritik

Menschen mit Verlustangst haben ein starkes Bedürfnis nach Bestätigung von ihrem Partner / ihrer Partnerin. Wenn diese Bestätigung ausbleibt oderKritik geöußert wird, geraten sie schnell in Unsicherheit und zweifeln an der Stabilität der Beziehung.


Wenn die Verlustangst dann aktiviert wurde, kann sich sich auf verschiedene Arten zeigen.


Anzeichen von Verlustangst


Paula erlebt ihre Verlustangst sehr stark in ihrem Körper. Zudem hat sie Gedankenkreisen und fühlt sich sehr rastlos.


Weitere Anzeichen von Verlustangst sind z.B.:


  • Herzklopfen

  • ein Druck auf der Brust

  • Bauchschmerzen

  • Gedanken wie “er wird mich verlassen” oder “sie darf nicht gehen.”

  • der Impuls jemandem ganz nahe zu sein

  • Erstarren

  • Eifersucht

  • Kontrolle des Partners / der Partnerin


Viele Menschen tun außerdem alles, um die andere Person davon abzuhalten zu gehen. Das bedeutet dann häufig, dass man seine eigenen Bedürfnisse hinter denen der anderen Person zurückstellt.


Wichtig: Verlustangst ist bis zu einem gewissen Grad normal. Natürlich wäre es schlimm, geliebte Menschen zu verlieren. Zu einem Problem wird das Gefühl erst dann, wenn es immer wieder in Situationen aufkommt, wo es keine “realen” Bedrohungen gibt oder wenn es die Beziehung und den Menschen nachhaltig belastet.


Das Problem mit Verlustängsten


Verlustängste können sehr negative Konsequenzen für uns und unsere Beziehungen haben. So kann es sein, dass Verlustangst uns in Beziehungen hält, die uns nicht gut tun. Das passiert z.B. dann, wenn man das Gefühl hat, nichts außerhalb der Beziehung zu haben. Dann kann es sich anfühlen, als würde man das Wichtigste in seinem Leben verlieren, ohne dass dies tatsächlich zu befürchten steht. Oder es geht sogar noch weiter und wir fühlen uns regelrecht wertlos ohne eine Beziehung. Das macht uns natürlich sehr abhängig von den anderen Menschen und kann dazu führen, dass wir sehr viel von uns aufgeben, um die Partnerschaft nicht zu verlieren.


Auf der anderen Seite können Eifersucht, Kontrolle und Klammern die Freiheit des Partners / der Partnerin stark einschränken. Dies geht meist mit Problemen und Streits in der Beziehung einher.

Der Teufelskreis der Verlustangst


Verlustangst führt oft zu einem Teufelskreis:


  • Die Angst vor dem Verlust führt zu Kontrolle, Eifersucht und Klammern.

  • Der Partner fühlt sich eingeengt und distanziert sich emotional.

  • Diese Distanz verstärkt die Verlustangst, was zu noch mehr Kontrolle und Eifersucht führt.


Dieser Kreislauf belastet die Beziehung stark und kann langfristig zu einem Bruch führen, wenn die Dynamik nicht erkannt und aufgelöst wird.


Für die meisten Menschen ist es sehr schwer, auf jemanden einzugehen, der Verlustängste erlebt. Sie wissen dann vielleicht nicht, was sie machen sollen oder sind frustriert, wenn sie sich einschränken müssen.


Abgesehen davon, ist es natürlich ein enormer Leidensdruck für die betroffene Person, mit dem Gefühl der Angst umgehen zu müssen. Auch Paula wünschte sich nichts mehr, als dass sie einfach “entspannt” sein könnte und nicht mehr so klammern müsste.

Die psychologischen und neurologischen Auswirkungen von Verlustangst


Studien zeigen, dass Verlustangst reale und messbare Auswirkungen auf das Gehirn hat. Laut einer Studie von van der Watt et al. (2021) reagieren bestimmte Hirnregionen – insbesondere der cinguläre Kortex, der für emotionale Regulation zuständig ist – stärker bei Menschen mit Verlustangst. Diese Aktivität führt dazu, dass Personen mit Verlustangst Schwierigkeiten haben, ihre Emotionen zu kontrollieren.


Wichtige Erkenntnisse:

  • Verlustangst aktiviert das Gehirn ähnlich wie physischer Schmerz.

  • Menschen mit Verlustangst haben oft Schwierigkeiten, negative Emotionen zu regulieren.

  • Diese Ängste können zu Grübeleien, geringem Selbstwertgefühl und Depressionen führen (Boelen & Reijntjes, 2009).


Doch wo kommen diese Ängste eigentlich her?

Hintergründe


Verlustangst kann aus verschiedenen Situationen und Erfahrungen entstehen. Meist sind diese Erfahrungen jedoch sehr starke emotionale Erinnerungen, die uns in der Vergangenheit geprägt haben.


Kindheit


Wir haben bereits in einem früheren Artikel darüber gesprochen, wie unsere Kindheit unsere Beziehungen beeinflussen kann. Verlustangst ist ein Beispiel dafür.


Die Ursachen für Verlustangst können in verschiedenen Erfahrungen und Phasen des Lebens liegen. Oft sind sie tief in der Kindheit verwurzelt.


Kindheitserfahrungen


  • Verlust eines Elternteils: Ob durch Scheidung oder Tod – der Verlust einer Bezugsperson kann tiefe Ängste hinterlassen, die sich später in Beziehungen widerspiegeln.

  • Emotionaler Mangel: Kinder, die das Gefühl hatten, nicht genug Zuneigung oder Aufmerksamkeit zu bekommen, entwickeln oft das Bedürfnis, übermäßig um Bestätigung zu kämpfen.

  • Überfürsorgliche Eltern: Helikopter-Eltern, die übermäßig kontrollieren, können bei ihren Kindern ein unsicheres Bindungsmuster hervorrufen. Studien zeigen, dass Helikopter-Erziehung signifikant mit einer unsicheren Bindung im Erwachsenenalter zusammenhängt (Miller, Rainbolts & Tallents, 2024).


Wenn uns diese Erfahrungen - seien es jetzt einmalige Erlebnisse oder wiederholte Gefühle -geprägt haben, speichern wir die entsprechenden Gefühle in uns. Sind wir z.B. in einer Familie aufgewachsen, für die wir nie gut genug waren, speichern wir dieses Gefühl tief in uns.


Es kann sein, dass wir als Kinder lernen, es immer allen recht zu machen, da das für uns die einzige Chance ist, dass sich andere nicht von uns abwenden. Dies kann später im Erwachsenenalter dazu führen, dass wir eine Kombination aus geringem Selbstwert und Verlustängsten erleben.

Ein weiterer Grund kann in unserer Erziehung liegen. Manche Eltern sind selbst sehr ängstlich und übertragen dieses Gefühl auf ihre Kinder. So kann es kommen, dass wir als Kinder nicht lernen, für uns selbst zu sorgen und uns ein Gefühl der Selbstwirksamkeit fehlt. So lernen wir, mit einem ängstlichen Blick auf die Welt zu schauen und haben das Gefühl, dass wir andere Menschen unbedingt brauchen, da wir es alleine nicht schaffen.



Vergangene Beziehungen


Auch vergangene Beziehungen können einen Einfluss auf unsere Ängste haben. Gerade, wenn Beziehungen besonders problematisch oder “toxisch” waren.


Beispiel: Paula: Paula erlebte eine schmerzhafte Trennung, die sie tief erschütterte. Ihr damaliger Partner verließ sie plötzlich und ohne Vorwarnung, was sie emotional zerstörte. Seit diesem Erlebnis trägt sie die Angst in sich, dass jede Beziehung plötzlich enden könnte, ohne dass sie es beeinflussen kann. Dieses Trauma verstärkt ihre Verlustangst in ihrer aktuellen Beziehung immer wieder.


Verlustangst überwinden: Wege aus der Angst


Es gibt verschiedene Ansätze, um Verlustängste zu überwinden. Der Schlüssel liegt darin, sich der eigenen Ängste bewusst zu werden, sie zu reflektieren und neue Verhaltensmuster zu entwickeln.


1. Achtsamkeit und Selbstwahrnehmung


Lerne, deine Ängste zu erkennen, bevor sie überhandnehmen. Achtsamkeitsübungen und Journaling können helfen, die Auslöser und Muster der Verlustangst zu identifizieren. Reflektiere regelmäßig über deine Ängste und frage dich: „Ist diese Angst wirklich gerechtfertigt, oder basiert sie auf alten Erfahrungen?“


2. Kommunikation


Offene und ehrliche Gespräche mit deinem Partner sind entscheidend. Teile ihm mit, dass du manchmal Verlustängste hast und erkläre, wie er dich unterstützen kann, ohne sich eingeengt zu fühlen. So könnt ihr gemeinsam einen Weg finden, der euch beiden hilft.


3. Stärkung des Selbstwertgefühls


Arbeite aktiv an deinem Selbstwertgefühl. Verlustängste sind oft eng mit einem geringen Selbstwert verbunden. Baue Routinen auf, die dir zeigen, dass du wertvoll bist – unabhängig von deiner Beziehung. Dazu gehören Selbstfürsorge, das Verfolgen eigener Interessen und Hobbys sowie der Aufbau eines starken sozialen Netzwerks außerhalb der Partnerschaft.


4. Professionelle Unterstützung


Wenn die Verlustangst besonders stark ist, kann es hilfreich sein, therapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. In der Therapie kannst du lernen, woher deine Ängste kommen und wie du sie gezielt bewältigen kannst.

Fazit


Verlustangst ist ein tiefgreifendes emotionales Problem, das sowohl den Betroffenen als auch die Beziehung stark belasten kann. Indem du die Ursachen erkennst und neue Verhaltensweisen entwickelst, kannst du diesen Teufelskreis durchbrechen und wieder mehr Stabilität und Vertrauen in deine Beziehung bringen. Sei geduldig mit dir selbst und deinem Partner / deiner Partnerin – Veränderung braucht Zeit, aber sie ist möglich.



Literatur und Quellen


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  • Miller RW, Rainbolt CL, Tallents S. Hovering Is Not Helping: Relationships among Helicopter Parenting, Attachment, Academic Outcomes, and Mental Health in College Students. Youth. 2024; 4(1):260-271. https://doi.org/10.3390/youth4010018

  • O’Hara, K. L., Rhodes, C. A., Wolchik, S. A., Sandler, I. N., & Yun‐Tein, J. (2021). Longitudinal Effects of PostDivorce Interparental Conflict on Children’s Mental Health Problems Through Fear of Abandonment: Does Parenting Quality Play a Buffering Role? Child Development, 92(4), 1476–1493. https://doi.org/10.1111/cdev.13539 

  • Rowen, J., & Emery, R. (2018). Parental denigration: A form of conflict that typically backfires. Family Court Review, 56, 258–268. https://doi.org/10.1111/fcre.12339

  • Simard, V., Moss, E., & Pascuzzo, K. (2011). Early maladaptive schemas and child and adult attachment: A 15- year longitudinal study. Psychology and Psychotherapy: Theory, Research and Practice, 84(4), 349–366. doi:10.1111/j.2044-8341.2010.02009.x 

  • van der Watt, A.S.J., Spies, G., Roos, A. et al. Functional Neuroimaging of Adult-to-Adult Romantic Attachment Separation, Rejection, and Loss: A Systematic Review. J Clin Psychol Med Settings 28, 637–648 (2021). https://doi.org/10.1007/s10880-020-09757-x

  • van Ingen, D.J.; Freiheit, S.R.; Steinfeldt, J.A.; Moore, L.L.; Wimer, D.J.; Knutt, A.D.; Scapilellow, S.; Roberts, A. Helicopter parenting: The effect of an overbearing caregiving style on peer attachment and self-efficacy. J. Coll. Couns. 2015, 18, 7–20.





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